Ob ihr behindert seid?!

Ein schöner Start in den Morgen: Ein bisschen entspannt frühstücken und dann einen stressigen Tag. Hausarbeiten schreiben, arbeiten, Assistenz verwalten… Davor ein klein wenig den Sinnlosigkeiten fröhnen, die auf einer App für Studenten anonym gepostet werden. Eigentlich mag ich das. Ich genieße es, mich auch mal normal fühlen zu können, in einer Umgebung, in der das eigene Versagen gefeiert und viel von dem Druck, der auf einem lastet, durch Banalisierung gemildert wird.

Meist zelebriere ich das richtig. Doch in letzter Zeit mischen sich kleine Inseln des Ärgers in mein morgentliches Vergnügen. Es scheint Konsens geworden zu sein, auf unliebsame Fragen oder Ansichten mit einer ganz speziellen Gegenfrage zu antworten: Ob du behindert bist? Bisher habe ich das immer ignoriert. Habe zwar die Stirn gerunzelt, aber mich dazu gezwungen zu schweigen. Ich wollte nicht überempfindlich sein. Wollte nicht zu den Klischéebehinderten gehören, die sich über alles und zwar wirklich alles beschweren. Ich wollte normal sein und dazu gehören.

Und dann kam heute morgen ein Post. Genau über dieses Thema. Dass Behinderung als Schimpfwort überhand nimmt und dass das falsch ist. Der „Jodler“ wurde sofort mit dem üblichen Muster beschimpft. Ob er denn wohl behindert sei. Wohlgemerkt nicht als Frage. Diesmal konnte ich nicht mehr schweigen. In zwei Antworten habe ich versucht meine Sicht der Dinge zu erklären. Das enttäuschende Ergebnis: Dieser sogenannte Jodel wurde einfach herausgenommen. Und genau das hat mir eines klar gemacht:

Die wenigsten wollen zuhören. Gerade Menschen in meinem Alter haben keine Lust, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, die nicht gerade sexy sind. Aber genau die sollten zuhören:

Vor gar nicht so langer Zeit wurden Leute wie ich noch weggesperrt. In Heime, wo sie wie Topfpflanzen verwelkten. Immer noch werden Menschen wie ich zu Topfpflanzen gemacht. Menschen, die genauso intelligent sind wie ich, werden zu völlig hoffnungslosen Existenzen gemacht, die vegetieren und die mit System stumpf gehalten werden. Weil es einfach praktischer ist. Wisst ihr das? Oder wollt ihr es nicht wissen?

Der Großteil der Behinderungen sind erworben. Jeden kann das treffen. Jeden einzelnen von euch. Und was macht ihr? Anstatt dankbar zu sein, dass ihr unser Schicksal nicht teilt, degradiert ihr uns.

Und ja, keiner von euch würde jemanden wie mich auf der Straße blöd anmachen, auch körperlliche Übergriffe gehören der Vergangenheit an. Keiner würde es wagen, mir Hilfe zu verweigern, wenn ich auf euch zu fahre und darum bitte. Aber ich sehe die Angst und das Misstrauen in euren Augen. Ich spüre, dass ihr versucht, mich so schnell wie möglich loszuwerden, weil ihr euch unsicher seid. Ihr traut euch nicht mal, mir die Hand zu geben. Ihr sprecht lieber meine Assistenten an, statt mich. Und natürlich kommt das auch daher, dass wir Behinderten uns zu lange versteckt haben. Viele von uns haben und hatten auch Angst.

Aber dadurch, dass ihr unseren Zustand als Schimpfwort benutzt, beleidigt ihr uns nicht nur. Darüber könnte man hinweg sehen. Menschen, wie ich, sind Demütigungen und Schmerz gewohnt. Ihr zeigt, dass ihr kein Stück besser seid, als diejenigen, die vor ein bisschen weniger als hundert Jahren Existenzen ausgelöscht haben, weil sie bedauernswert wären und es eine Gnade wäre, sie zu erlösen. Ihr seid nur noch feiger. Statt euch mit mir auseinanderzusetzen, löscht ihr den Post beziehungsweise votet ihn ins Nirvana. Statt mich öffentlich anzugreifen, tut ihr lieber so, als wäre ich nicht da. Als wäre Behinderung ein Gespenst, dass wie Frau Holle, denen den Bauch aufschneidet, die nicht brav waren.

Aber dieses Gespenst wird mich eines Tages umbringen. Für mich ist es kein Gespenst, sondern das Damoklesschwert, das am Pferdehaar über meinem Kopf baumelt. Wenn ich ehrlich bin, beneide ich euch. Ich hätte so gerne ein Leben, in dem mir Bauarbeiter hinterherpfeifen oder mein Studium durch meine Feierkultur bedroht ist. Wenn ich über die Dinge lese, die euer Leben ausmachen, dann werde ich traurig. Nicht weil ich sie gerne hätte, sondern weil ich wünschte, ihr könntet die Schönheiten darin mehr schätzen. Weil ich euch manchmal gerne eure Schwierigkeiten abnehmen würde, damit ihr das genießen könnt, was ich nie hatte. Damit ich wieder davon lesen oder hören kann. Und sie in Gedanken auch durchleben kann.

Ich verlange nicht, dass ihr Behinderungen nicht mehr seltsam findet. Ich wünschte nur, dass ihr es nicht mehr nötig hättet, andere mit einem so schrecklichen Zusand herabzusetzen, sondern, dass ihr froh seid, ihn nicht zu erleben. Noch nicht so auf andere angewiesen zu sein. Ich bitte euch, seid dankbar, für das ihr habt. Und schaut nicht in Verachtung auf uns. Denn die haben weder wir noch ihr verdient.

Brief an jenen Menschen, der mich eine Jasagerin nannte

Mir ist bewusst, dass du mich niemals eine Freundin nennen würdest. Immerhin bin ich in deinen Augen eine schwache Jasagerin. Jemand, den du verachtest und dem du die Sympathie aufgekündigt hast.

Aber die Tatsache, dass du mich dazu zwangst, mich mit dir auseinander zu setzen und mir selbst in die Augen zu sehen, lässt mich dich inzwischen als einen Freund ansehen. Denn nur ein Freund hätte es gewagt, mich mit einer solchen Ungeheuerlichkeit zur Selbstreflexion zu bringen. Ein Blick in den Seelenspiegel ist nie schön, doch immer wieder mehr als wichtig und hin und wieder sehr heilsam.

Zwei Monate ist unser Treffen nun her. Zwei Monate hat es gedauert, dass ich endlich Worte fand, die ich dir erwidern kann und möchte. Worte, die weder von kindischer Wut, noch von Traurigkeit oder Verachtung geprägt sind. Denn ich bin ein stolzer Mensch und hätte ich mir keine Zeit zur Antwort gelassen, hätte ich diese Situation überbewertet. Das wollte ich nicht.

So habe ich in dieser Zeit lange und intensiv nachgedacht. Ich habe mich gefragt, ob in deinen Sätzen wirklich Wahrheit steckte. Ich wollte es nicht glauben. Doch nun, an einem der ersten sonnigen Frühlingstage dieses Jahres ist es an der Zeit, dir und der Wahrheit ins Auge zu blicken.

Ich kann dir nur Recht geben. Ja, ich bin eine Jasagerin. Ich stimme Menschen oft zu. Ich höre schweigend zu und widerspreche eher selten. Aber das macht mich nicht schwach.

Es ist auch kein Zeichen dafür, dass ich falsch bin. Ich schweige oder stimme zu, weil ich das Gegenüber respektiere. Ich möchte meinen Gesprächspartnern eine bestimmte Form der Würde lassen. Die Würde, in meiner Gegenwart Dinge äußern zu dürfen, die sie sonst nicht äußern können. Weil Menschen wie du, diese Dinge dumm oder falsch nennen würden.

Ja, es gibt viele Menschen, die nicht so intelligent sind. Die dumme Ideen haben oder nicht nachdenken, bevor sie sprechen. Doch haben denn diese Menschen kein Recht darauf, ihre Gedanken vor anderen zu äußern? Wollen wir ihnen das Recht absprechen, nachzudenken? Sollen wir sie von der Verantwortung entbinden, Aussagen zu treffen?

In meinen Augen ist es unabdingbar, dass gerade diese Menschen sagen können, was sie denken. Es ist die Pflicht von toleranten, gebildeten Menschen, ihnen zuzuhören und so die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu hören. Das stößt oft mehr Nachdenken an als ein offener Widerspruch. Es gibt ihnen das Gefühl, „dazuzugehören“, wichtiger Bestandteil zu sein und vor allem eine Stimme zu haben.

Wenn wir ihnen nicht zuhören und nicht versuchen sie zu verstehen, nehmen wir ihnen Verantwortung. Wir degradieren sie zu stimm- und meinungslosen Kreaturen ohne Sinn und Verstand. Wir nehmen ihnen die Würde.

Ich habe selbst oft genug erlebt, wie es ist, die Würde abgesprochen zu bekommen. Ich kenne es, wenn man keine Stimme bekommt, wenn einem Leute über den Mund fahren und nicht die Möglichkeit geben, eigene Gedanken und Gefühle auszudrücken. Die Traurigkeit, die meine gesamte Existenz danach erfasste, ließ mich nie wieder los. Ich möchte sie anderen nicht antun. Ich will mich nicht selbst zur Schuldigen eines Verbrechens machen, dessen Opfer ich wurde.

Auch dich wollte ich nicht zum Opfer machen. Ich wollte eine gute Zuhörerin und Gastgeberin sein, indem ich nicht widersprach und deine Würde bewahrte. Wieso hätte ich das auch tun sollen? Du sagtest nicht, was völlig falsch war.

Ja, ich war nicht deiner Meinung. Aber ich kannte dich nicht. Woher nahm ich das Recht, dir zu sagen, dass du falsch lagst? Viele deiner Aussagen, waren vermutlich in deinen Augen richtig. Wie kann ich sie verneinen, wenn ich nie durch deine Augen geblickt hatte? Wie kann ich belanglose Ansichten falsch nennen, wenn ich deine Geschichte nicht kenne?

Dafür schimpftest du mich danach eine Jasagerin. Und es hat mich wütend gemacht und traurig. Es klang so, als hätte ich keine Meinung. Als hätte ich gedankenlos ja gesagt, weil ich dir gefallen wollte.

Mein lieber Freund, ich mag gefallsüchtig sein und ich gebe zu, dass das eine meiner größten Schwächen ist, doch hauptsächlich bin ich höflich. Und es ist mir nun einmal wichtig, meine Gäste zu behandeln, wie ich selbst behandelt werden möchte.

Wenn ich Aussagen, absolut nicht tolerieren kann, dann schreite auch ich ein, doch weshalb soll ich dies in einem Gespräch tun, dass über Belanglosigkeiten spricht? Warum soll ich widersprechen, bei Nichtigkeiten? Es tut mir leid, doch so wichtig nehme ich mich nicht. Und für mich ist es ein Zeichen von falschem Stolz, sich durch so etwas über andere zu stellen.

Ich bin nur ein Mensch und du bist auch einer. In einem Gespräch geht es darum, sich gegenseitig zuzuhören und dadurch kennen zu lernen, nicht durchgehend auf Streit und Diskussion aus zu sein. Hättest du mich nach meinen Meinungen gefragt, hätte ich sie dir gegeben. Dann hätte ich auch widersprochen. Doch weshalb eine Meinung an jemanden verschwenden, der sie nicht hören möchte?

Wir Menschen in dieser Welt sind ohnehin ständig gezwungen uns kundzutun. Individuelle Ansichten zu haben und diese durch die Räume unseres Lebens zu krähen. Auf uns aufmerksam zu machen als einzige, die wirklich wissen, was richtig oder falsch ist. Uns auf dem Silbertablett darzubringen.

Dessen bin ich müde. Tagtäglich bin ich gezwungen, so viele Worte an Leute zu verschwenden, die sie wegwerfen, dass ich sparsam damit sein muss. Jene, die mein Innerstes beschreiben. Meine Ansichten, Gefühle… Mein Wesen. Die Worte sind denen vorbehalten, die danach fragen. Sonst sind sie nur Samen auf Beton und das verdienen sie nicht.

Und nur sehr selten richte ich sie gegen andere. Das tue ich nur, wenn die Worte der anderen meine Welt bedrohen. Wenn sie gefährlich werden. Verzeih mir bitte, doch du warst keine Bedrohung oder Gefahr. Alles was ich von dir wollte, war ein Gespräch.

Ich wollte dir fruchtbaren Boden bieten, für deine Worte. Wollte dich nicht dazu zwingen, sie zu verschütten. Sollte dich das verwirrt haben, bitte ich um Verzeihung und hoffe, dass dir nicht jeder eine solche Härte entgegenbringt, wie du sie offensichtlich gewohnt bist.

Wie soll jemand, der nur kalten, grausamen Stein kennt, das Wasser verstehen? Wie soll er es nicht für schwach halten, wenn er nie den Sturm auf dem Meer sah oder einen Stein, der von steter Brandung weich geschliffen wurde.

Ja, deine Aussage hat mich verletzt. Sie hat mich in meinem Selbstverständnis angegriffen und mich fragen lassen, ob ich zu weich bin.

Ja, weich bin ich, aber nein, schwach macht mich das nicht! Ich will mich einfach nicht von einer Welt der Steine hart machen lassen. Es muss die weichen Elemente geben. Sie sind es, die Leben spenden und jenen Rast gewähren, die von der Reise auf harten, scharfen Stein erschöpft sind und Heilung brauchen von ihren Verletzungen.

Ich möchte Frieden spenden und den Menschen das Gefühl geben, Wert zu haben, die von der Welt als nutzlos zur Verdammung verurteilt werden. Ich will diese Menschen achten und sie lieben. Denn Verachtung gibt es zu viel. Diese Welt ist hart und ich will jenen, die manchmal Schutz vor Härte suchen, zumindest für eine Zeit Schutz bieten, so dass sie sich stärken können, um ihre Reise fortzusetzen.

Und wenn man die Oase dafür verachten will, dass sie nicht so erbarmungslos ist, wie die Wüste. Dass sie klein ist und kühl. Dass sie sich von anderen zu deren Schmerzlinderung benutzen lässt. Dann sei es so…

Dann möchte ich Ziel dieser Verachtung sein. Dann soll mich das Unverständnis treffen und ich will belächelt werden. Denn für andere werde ich schwach, um ihnen Stärke zu geben. Ich mache mich klein, um anderen ihre Größe zu zeigen. Das ist es, was Stärke bedeutet. Die Fähigkeit, sich so seiner selbst sicher zu sein, dass man niemanden braucht, der einem seine Größe verdeutlicht.

Das hast du mich gelehrt und dafür möchte ich dir am heutigen Tage danken. An jenem regnerischen Tag brach eine Welt in mir zusammen und eine andere wurde mir gewahr. Mein bärtiger Freund, das ist dein Verdienst. Und dafür verneige ich mich vor dir in Dankbarkeit.

Und solltest du jemals eine Jasagerin benötigen, die dich einfach annimmt wie du bist und nicht Salz und ihren eigenen Schmutz in deine Wunden streut, – dann möchte ich dich willkommen heißen und dir jederzeit wieder den Kuchen meiner Großmutter und ein paar Stunden meiner Zeit anbieten. Denn zwar vergisst Wasser nicht, doch es beruhigt sich. Der Stein wird bleiben, aber eines Tages, werde ich ihn so geschliffen haben, dass er mich nicht mehr schmerzt, sondern Teil von mir wird. Eine Lehre wurde er mir schon…

Wieso eine Chai Latte und das Paradies so nahe beieinander liegen…

Eine große Chai Latte im trüben Licht vor einem Einkaufszentrum. Alleinsein in einer Menschenmenge. Das Gefühl des Nicht-Beachtetwerdens, während Blicke einen streifen. Prüfende, kritische, mitleidsvolle Augenpaare, denen ich hier begegne. Vielleicht ist es ein trauriges Bild. Ich weiß es nicht. Albtraum vielen junger Menschen und trotzdem mein Himmel.

Niemand, der mich hier sieht, wird sich an mehr erinnern als eine junge, vielleicht hübsche Frau im Rollstuhl mit langem blonden Haar, die auf dem Vorplatz dieses Einkaufszentrums etwas ungesund über einem Notizbuch kauert und ungelenk darin schreibt. Niemand kennt mich hier, niemand kümmert sich um mich, niemand hat irgendeine Verbindung zu mir. Es ist ein göttliches, berauschendes Gefühl. Einige, wenige Stunden atme ich die Freiheit von niemandem begleitet zu werden. Keinen Schatten zu haben

Länger und an vielen anderen Orten kann ich das kaum. Dann muss ich auf die Toilette, mich umsetzen lassen oder brauche jemanden, der mir irgendetwas reicht. Und nein, ich finde das nicht schlimm. All jenen, die mir helfen, wann immer ich Hilfe brauche, bin ich mehr als nur dankbar. Ich bin froh in einem Land zu leben, in dem man mir die dauerhafte Begleitung finanziert. Jedes Mal, wenn mir geholfen wird, bin ich mit Dankbarkeit erfüllt, dass ich nicht in einem Heim leben muss und so frei wie möglich leben kann. – Und auch für jeden meiner Assistenten, danke ich, Gott, dem Staat und meinem Schicksaal.

Sie sind wunderbare Menschen mit vielen spannenden Geschichten. Aber manchmal ertrage ich es nicht. Man steht immer unter Beobachtung. Hat stets das Gefühl sich rechtfertigen zu müssen. Und alle privaten Gespräche verwandeln sich in Gruppenunterhaltungen. Sogar wenn ich telefoniere, bekommt es unweigerlich immer jemand mit. Schuld hat daran niemand. Was sollen meine Begleiter denn auch tun? Die Kunst, sich in Luft aufzulösen, hat wohl noch niemand gemeistert und in einer Ein-Zimmer-Wohnung in einem Studentenwohnheim, gibt es einfach keine Rückzugsmöglichkeiten. Bei einem Gespräch zwischen zwei Personen wäre es noch viel unangenehmer, wenn eine Drite schweigend daneben stehen würde. Ich denke, es ist eine Zwickmühle für beide Parteien. Jeder der Beteiligten findet diese Situation unangenehm. Man bekommt das Leben der anderen auf einem Silbertablett serviert ohne es zu wollen.

Ein englisches Sprichwort besagt, ein echter Freund sei derjenige, der einen Menschen voll und ganz kenne, und ihm trotzdem Liebe schenken könne oder zumindest nicht weglaufe. In unserer Beziehung ist das ähnlich. Nur, dass wir meistens nicht befreundet sind. Ich meine, ich mag meine Assistenten wirklich. Für jede und jeden von ihnen, ist ein großer Platz in meinem Herzen reserviert. Aber eine wahre Freundschaft ist trotzdem fast unmöglich.

Denn am Ende das Tages bin ich ihre Chefin, und, seien wir mal ehrlich, wir wissen einfach zu viel voneinander. Was ist das für eine Freundschaft in der einem dem anderen gegen Bezahlung den Hintern abwischt, der andere der Vorgesetzte ist und jeder das Gebrabbel im Schlaf des anderen mitanhören muss. Die Erfahrung hat einfach gezeigt, dass beides kaputt geht, wenn man in solchen Situationen Arbeit und Freundschaft so intensiv mischt.

So sind meine Assistenten wohl nicht meine Freunde, aber trotzdem meine engsten Vertrauten. Und ich gehöre wohl auch zu ihren. Manchmal mag ich die Vorstellung eines Hofstaates im 19. Jahrhundert. Ohne die Hofräte wäre die Königin machtlos und ohne Königin gibt es keine Hofräte. Vielleicht ist es ein erstmal irritierendes Bild, aber für mich gibt es viel Sinn. Vor allem wegen der Verbandelung, den Machtbeziehungen – und dem Zwang die Einigkeit auch „körperlich“ immer wieder vor allen anderen zu demonstrieren.

Für das Volk war ganz klar, dass die Königin immer von den Hofräten begleitet wurde. War das nicht, galt etwas als faul. So schade es ist, aber bei uns ist das auch so. Laut meiner Bescheide muss mein Assistent immer in meiner Nähe sein. Man muss beweisen, dass man zu jeder Zeit Hilfe braucht. Und sollte mich jemand dabei erwischen, wie ich morgens vor den Steinstufen eines Münchner Einkaufszentrum sitze – ohne Assistent, dann wäre ich in ziemlicher Erklärungsnot. Immerhin wäre dann diese ständige Betreuungsnotwendigkeit nicht mehr gewährleistet. Das ist das deutsche Gesetz.

Aber seien wir doch einmal ehrlich. Nur weil ich aus einem Pappbecher, der auf meinem Schoß abgestellt und mit einem Strohhalm präpariert wurde, trinken kann, mich damit in die Morgensonne stellen und neben dem Trinken in meiner Krakelschrift vor mich hin schreiben kann, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht dauerhaft ohne Assistent durchhalte. Ja, ich kann durch Einkaufspassagen streifen. Mit der Hilfe von Verkäufern bekomme ich es auch hin, mir kleine Dinge zu kaufen und sie an meinen Rollstuhl hängen lassen. An guten Tagen, kann ich sogar mal den Knopf zu den Liften drücken oder mir eine Maniküre machen lassen, aber all das bekomme ich nur hin, weil ich weiß, dass ich nur mein Handy – meinen Garant für die Freiheit – anmachen und zwei Worte sagen muss. Dann werde ich innerhalb von ein paar Minuten Hilfe und Unterstützung. Und wenn es ganz schlimm ist, kann ich immer noch Passanten ansprechen. Kaum jemand würde mir Hilfe verwehren. Die meisten freuen sich ja sogar, wenn sie helfen können.

Trotzdem spiele ich mit dem Feuer, wenn ich hier sitze. Ich gefährde meine Freiheit, denn wenn dieser Status der ständigen Betreuung einmal verloren ist, dann ist es schwer ihn wieder zu bekommen. Aber manchmal kann ich nicht anders. Dann muss ich nach draußen, setze meine Assistenten ab und genieße dieses tollkühne Gefühl des verbotenen Alleinseins. Das kleine, aber wunderbare Stück Himmel, das der Hölle so nahe ist. Dann atme ich die gefährliche Selbstständigkeit und bin wie berauscht von ihr.

Denn sie erinnert mich an eine Sache, die ich so oft zu vergessen drohe: Ich bin eigenständig, trotz meiner fehlenden Muskeln. Und wer sprechen kann, der braucht keine Dauerbewachung. Nur den Mut, Menschen anzusprechen.